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Petrus ist der Mann, der die Notwendigkeit der Vergebung begriffen hat. Gleichzeitig spürt er, wie schwer es ist zu vergeben: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?“ (Matthäus 18,21). Vielleicht fragt Petrus so, weil sein Bruder ihn immer wieder an der gleichen Stelle verletzt. Vielleicht erinnert er sich aber auch immer wieder an seinen Schmerz und kann das erlittene Unrecht einfach nicht vergessen. Petrus nimmt die Vergebung ernst. Sieben Mal ist er bereit zu vergeben. Genügt das?

Jesus entgegnet ihm: „Nicht sieben mal, sondern 7 Trilliarden mal. 7 Trilliarden mal plus 1. Unendlich oft. Oder wie es in Jesu Sprache heißt: 7 mal 70 mal. Dann fängt Jesus an, das Gleichnis vom Schalksknecht zu erzählen und davon, dass unsere Schuld nur dann vergeben wird, wenn wir vergeben.

„Wie können wir denn vergeben?“ Die ganze Wucht dieser Frage droht uns noch mehr zu erdrücken. Doch sieben Verse zuvor gibt Jesus eine andere Anweisung: „Wenn dein Bruder an dir sündigt…“. Ja, was sollen wir tun, wenn der Bruder oder die Schwester an uns sündigt, uns verletzt, uns ein Unrecht zufügt? Sollen wir ihm vergeben? Ganz anders lautet die Anweisung: Gehe hin! Weise ihn zurecht! Du und er allein!

Hier steht eben nicht: Lasse dir das Unrecht gefallen. Schlucke deinen Ärger herunter. Tue einfach so, als ob nichts gewesen wäre. Hier steht auch nicht: Wir müssen mal miteinander reden und eine Einigung finden. Hier steht: Wir sollen eine klare Position beziehen. Wir sollen das Unrecht benennen. Wir sollen den Anderen zurechtweisen.

Mit dem Wort „Zurechtweisung“ klingt der Schmerz einer Ohrfeige mit. Eine Zurechtweisung ist zuerst mal eine Einweg-Kommunikation: „Du hast Unrecht an mir getan und ich erwarte, dass das nicht noch einmal vorkommt.“

Eine Zurechtweisung weist die Wahrheit wieder an die richtige Stelle. Dadurch wird klar: Es ist Unrecht gewesen, was geschehen ist. Du bist derjenige, der dies Unrecht begangen hat. An mir hast Du es verübt.

Wenn Unrecht verübt wird, ist die Wahrheit oft das erste Opfer. Der Verletzte hat oft Schuldgefühle: Ich habe ja selbst dran schuld, dass ich verletzt wurde. Hätte ich mich anders verhalten, hätte der Andere mich nicht verletzt. Am extremsten trifft das Scheidungskinder, fühlen viele doch, dass sie schuld an der Scheidung ihrer Eltern sind: Hätte ich doch bloß nicht immer mit meinem Bruder gestritten! Wäre ich doch nicht so schlecht in der Schule gewesen. Sie fühlen sich schuldig, obwohl an ihnen doch Unrecht begangen worden ist. Ihr Koordinatensystem für die Wahrheit wird so weit verschoben, wenn nicht zerbrochen, dass sie nun in vielen anderen Dingen Wahrheit von Lüge nicht unterscheiden können.

Die Zurechtweisung rückt die Wahrheit wieder an die rechte Stelle. Das ist für einen selbst vielleicht schmerzhafter als für den Anderen. Der Bruder, der Mensch, der mir nahe ist, der, den ich so sehr liebe, der, der mich lieben sollte, hat Unrecht an mir begangen, mich verletzt oder gar verraten. Es ist dieser Schmerz, den die Schuldgefühle überdeckt haben, vor dem sie mich verschont haben. Es ist ja selten der Fremde, der uns in der Tiefe verletzen kann, sondern der Mensch, der uns nahe ist. Gerade weil wir diesen Menschen lieben oder vor ihm Respekt haben, fällt es uns schwer, etwas „Schlechtes“ über ihn zu sagen.

Weise den zurecht, der an dir Unrecht begangen hat, du und er alleine – unter vier Augen. Weise ihn nicht vor anderen zurecht. Denn dann könnte er nicht auf dich hören, sondern auf die Reaktionen der Anderen achten. Er wird dann mehr darum bemüht sein, vor den Anderen gut dazustehen und sein Gesicht zu wahren, als auf dich zu hören.

Nichtsdestoweniger kann die Zurechtweisung auf eine freundliche Weise geschehen. Das liegt daran, dass du sich nicht durchsetzen musst. Denn „Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir“ weist Jesus an. Du kannst die Zurechtweisung sogar flüstern, Du musst nicht deine ganze Energie hineinstecken. Allzuoft staut die Angst vor der Reaktion des Anderen eine Menge Wut in uns an: Wird er mir zuhören? Wird er mich verstehen? Das führt dazu, dass wir den Anderen nicht zurechtweisen, sondern unseren Ärger über ihn ausschütten – bis dahin, dass wir ihn vernichten wollen. Wir sollen den Anderen zurechtweisen, aber wir brauchen uns keine Sorgen um seine Reaktion zu machen: Wenn der Andere nicht auf uns hört, dann können wir unseren großen Bruder holen. Wir können uns Hilfe holen.

Ich weiß nicht mehr, ob es zuerst dieser Vers war, der mich zu diesen Gedanken inspiriert hat oder ob es das Buch “Keine Angst vor Kritik” von Barbara Berckhan war, das mich zu dieser Auslegung des Verses geführt hat. Jedenfalls sind die beiden Dinge für mich eng verwoben. Berckhans These lautet: Sprich das aus, was Dich verletzt! Klar und deutlich, aber freundlich*. Sie warnt davor, Rabattmarken zu sammeln: Unseren Ärger solange anzustauen, bis er eines Tages bei einer Kleinigkeit herausplatzt. Zusammen mit dem Bilderbuch „Blöde Ziege, Dumme Gans“ habe ich daraus ein Konflikttraining für Pais entwickelt. (www.konfliktherde.de). Das jetzt wieder die Grundlage für diese Blogreihe über Vergebung bildet.


* Die These habe ich aus der Erinnerung aufgeschrieben und muss sie in Kürze noch einmal nachlesen.

Barbara Berckhan: “Keine Angst vor Kritik”
Isabel Abedi | Silvio Neuendorf: „Blöde Ziege, Dumme Gans“ – Eine Geschichte von Streit und Versöhnung

„Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.“ Matthäus 18,15

www.konfliktherde.de

11 RACHE IST KLEBRIG-SÜSS

"Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten." (Johannes 4,13+14) Zu jedem kostbaren Original gibt es eine billige Kopie. Statt des lebendigen Wassers, das uns kühlt,...

10 UNERHÖRT

"Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen." (Matthäus 18,15) Wenn der Andere an uns Unrecht verübt, werden wir zu Opfern. Ein Opfer kann sich oft nicht selbst...

09 GEMEINSAM UNTERWEGS

"Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde." (Matthäus 18,16) "Hört er nicht auf dich", leitet nun die Schritte ein, die notwendig sind, wenn eine Versöhnung und Vergebung...

08 5 PHASEN DER VERGEBUNG

Vergebung auszusprechen und zu empfangen kann ein mühevoller Weg sein. Wenn wir mit jemanden den Weg der Vergebung durchgehen, dann brauchen wir meist 1,5 bis 2 Stunden und müssen gut darauf aufpassen, dass keine Abkürzungen genommen werden. Wir haben 5 Phasen der...

07 DENN DU SIEHST MICH

Zu den großen Wundern dieser Welt gehört es, dass Eltern Schmerz wegpusten können. So groß der Schmerz auch gerade ist, sobald Mama und Papa gepustet haben, springt der Kleine wieder auf ins Abenteuer des Spielens. Vielleicht haben sie sich vorher minutenlang...

06 ZUHÖREN

"Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen." (Matthäus 18,15) Wenn wir jemanden verletzt haben und an ihm Unrecht getan haben, so sollen wir nicht in ein abgrundtiefes schlechtes Gewissen verfallen und uns überlegen, wie wir das wieder gutmachen können. Wir...

05 GEMEINSCHAFT

Jesus hat uns keine Predigtlehre hinterlassen, auch kein Handbuch für Heilung von Körper und Seele. Jesus hat uns die Grundregeln für ein Leben in Gemeinschaft neu gelehrt. Das Reich Gottes ist nicht zuerst ein spektakuläres Ereignis von Zeichen und Wundern, sondern...

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JOKERFACE Stille Wasser sind tief. Einige Menschen haben es so sehr verinnerlicht, vergeben zu müssen. Bei ihnen ist kaum eine Regung zu erkennen. Sie sind sehr freundlich, höflich. Manchmal sogar unauffällig. Man bemerkt sie kaum. Sie machen keine Mühe und keine...

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Als die Israeliten aus Ägypten auszogen, wurden ihnen auf dem Berg Sinai die 10 Gebote offenbart. Auf dem Weg in die kommende Welt verkündigt Jesus auf einem Berg die Grundsätze, die in jener Welt gelten. Diese Grundsätze stellen sich gegen das, was in dieser Welt...

01 Hiob und der Schalksknecht

Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde Fürbitte tat. Hiob 42,10 Hiob Hiob hatte allen Grund sich zu beschweren. Ein Sturm durchzog sein Leben - Haus, Hof, Herden: Sein ganzer Besitz wurde zerstört. Seine Kinder getötet. Fiebrig,...

DER WEG DER VERGEBUNG

Wir werden nicht frei und glücklich leben können, solange die Wut in uns brodelt oder schlummert. Als Christen wissen wir, dass wir vergeben müssen – aber wir wissen oft nicht, dass etwas geschehen muss, bevor wir vergeben können. Wie können wir vergeben, was wir nicht vergeben können?