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„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“
Römer 1,16

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht

Verkündet Paulus ein anderes Evangelium als Jesus – oder ist es doch das Gleiche? Ein Vergleich des Römerbriefs mit dem Gleichnis von den Verlorenen Söhnen. Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Reihe, wo ich die Argumentation von Paulus im Römerbrief mit der Gedankenfolge im Gleichnis des Verlorenen Sohnes vergleiche. Heute geht es darum, ob der Einstieg von Paulus „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht“ im Gleichnis wiederzufinden ist.

Wofür kann ich mich schämen? Für etwas, dass ich falsch gemacht habe. Für etwas, das mich zurecht oder zu Unrecht in ein falsches Licht setzt. Mir ist es vielleicht peinlich, dass Menschen schlecht über mich denken, weil ich eine gewisse Überzeugung habe. Aber dann ist „Schämen“ nicht unbedingt das beste Wort. „Nicht mutig genug sein“ oder „feige sein“, wäre dann eigentlich das treffendere Wort. Schämen kann ich mich, wenn ich mit Menschen in Verbindung gebracht werde, die mir peinlich sind.

Jesus schämt sich des Evangeliums nicht. Er lässt sich mit den Widerwärtigen seiner Zeit ein. Mit Zöllnern, also den Ausbeutern und Kollaborateuren der römischen Unterdrückungsmacht. Mit Prostituierten und Sündern. Jesus tut das auf eine Weise, bei der sich nicht mehr herausreden kann, so wie man heute vielleicht manchmal einen guten Grund erfindet, warum man doch mit „dem da“ gesprochen hat. Er verbindet sich auf die denkbar stärkste Weise mit ihnen: Er isst mit ihnen. Mit jemandem zu essen, bedeutet in der Kultur dort auch, unter dessen Schutz zu stehen. Indem Jesus mit „denen da“ isst, sagt er im Grunde auch: „Wenn ihr etwas von denen wollt, müsst ihr erstmal an mir vorbei.“

„Mit denen da“ sich zu verbinden, geht gar nicht, so ist die Meinung der Schriftgelehrten: „Der Mensch geselle sich nicht zu einem Gottlosen, selbst nicht, um ihn der Tora zu nähern.“* Jesus ist aber davon überzeugt, dass das Evangelium „eine Kraft Gottes“ ist, „die selig macht alle, die daran glauben“. Er handelt gerade im Gegensatz zu ihren Überzeugungen, weil er weiß, dass die Sünder nicht Sünder bleiben, wenn sie Ihm, dem Evangelium begegnen.


Strack, Hermann L. / Billerbeck, Paul: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch zu Lukas 15, 1+2

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