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Die Teigsuppe

In seinen zwei letzten Lebensjahren nahm Rabbi Elimelech nur noch sehr geringe Mengen von Speise und Trank zu sich, und auch dies nur, weil ihn die Seinen darum bedrängten. Einst, als sein Sohn, Rabbi Eleasar, ihn weinend bat, etwas mehr zu essen, um sich am Leben zu erhalten, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen: “Ach, was sind das für grobe Speisen, die ihr mir vorsetzt! Ja, wenn ich die Teigsuppe bekäme, die ich damals auf meiner Wanderschaft mit meinem Bruder Sussja, in dem kleinen roten Wirtshaus überm Dnjestr, zu essen bekam!“

Einige Zeit nach Rabbi Elimelechs Tod unternahm sein Sohn eine Reise, um das kleine rote Wirtshaus überm Dnjestr zu finden. Angelangt bestellte er ein Nachtlager und fragte, was es wohl zum Abendessen gäbe.
„Wir sind arme Leute“, sagte die Wirtin. „Wir geben den Bauern Schnaps für Mehl und Hülsenfrüchte, davon bringt mein Mann das meiste zur Stadt und handelt dafür Schnaps ein, und den Rest verzehren wir. So kann ich euch nichts andres anbieten als eine Teigsuppe.“ „Bereite sie mir gleich zu“, sagte Rabbi Eleasar. Nachdem er zu Abend gebetet hatte, stand die Suppe auf dem Tisch. Er aß den Teller auf und erbat einen zweiten, er aß den auf und ließ sich einen dritten geben. Als er auch den geleert hatte, fragte er die Wirtin: „Sag mir doch, was ist es, das du der Suppe beigetan hast und das sie so schmackhaft macht?“ „Glaubt mir, Herr“, antwortete sie, „ich habe nichts beigetan.“ Als er sie aber wieder und wieder fragte, sagte sie schließlich: „Wohl, wenn sie Euch so schmeckt, so muss es vom Paradies selber kommen.“ Und nun erzählte sie: „Das ist nun lange Jahre her, da sind einmal zwei fromme Männer bei mir eingekehrt, es war ihnen anzusehen, dass es wahre Zaddikim waren. Und da ich ihnen nichts vorzusetzen hatte als eine Teigsuppe habe ich beim Kochen zu Gott gebetet: ‚Herr der Welt, ich hab doch nicht andres und du hast alles, so erbarm dich deiner müden, hungrigen Diener und gib für sie in die Suppe von den Kräutern deines Paradieses!‘ Und wie nun die Suppe auf den Tisch kam, aßen die beiden die große Schüssel leer und nochmals leer, und der eine sagte mir: ‚Tochter, deine Suppe schmeckt nach dem Paradies.‘ Und nun hab ich wieder gebetet.“

aus Martin Buber: Die Erzählungen der Chassidim, S. 407
Manesse Verlag, gebunden, 848 Seiten, Eur 26,90
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