IRRITATION
Franz Kafka als Titelheld auf dem aktuellen SPIEGEL. Wer hätte das gedacht? Sein Vater bestimmt nicht, der konnte mit seinem Sohn nicht so furchtbar viel anfangen. In meiner Jugend habe ich einiges von ihm gelesen und war von ihm angezogen – ohne eigentlich zu wissen, warum.
Zum einem natürlich deswegen, weil er Jude war: Stefan Zweig, Alfred Adler, Viktor Frankl, Marc Chagall, die Macher von Batman und vieler anderer Superhelden, Hundertwasser und viele, viele andere waren immer wieder Menschen, die mich fasziniert und geprägt haben. Fast alle Menschen, die mich in wesentlicher Weise geprägt haben, waren Juden. Jesus und Paulus als die Herausragendsten davon.
Aber es war noch etwas, das ich erst jetzt in diesen Tagen in ein Wort fassen konnte: IRRITATION. Da ist dieser Mensch, der eines Morgens aufwacht, und sich verwandelt wiederfindet: als Käfer. Aber da ist niemand, der ihm hilft. Wie ist er zu dem geworden und warum hilft ihm denn niemand?
In seinem Roman „Das Schloss“ erzählt Franz Kafka von einem Landvermesser, der auf ein Schloß gerufen wurde, zum König. Aber als er da ankommt, da findet er den Weg zum König nicht und die Menschen, denen er begegnet, die helfen ihm nicht.
Ein einziges Gefühl von IRRITATION breitet sich in ihm aus: Wozu wurde er auf dieses Schloß gerufen, und doch findet er den Weg zu seinem Auftraggeber nicht? Er weiß nicht, was er dort soll – und niemand ist da, der ihm hilft.
Wer ist dieser König, von dem Kafka redet? Ist es Gott? Bestimmt. Kafka wuchs in einem tiefreligiösen Umfeld auf und in seinen Werken benutzt er deren Symbole und Chiffren. So erzählt Kafka von einem Menschen, der in diese Welt gerufen wurde. Als ein Mensch, der einmalig und wunderbar gemacht worden ist, mit einer einzigartigen Zusammenstellung von Fähigkeiten und Eigenschaften und mit einem spezifischen Auftrag, der nur ihm gehört. Aber er findet seinen Auftraggeber nicht und die Menschen, die ihm begegnen, helfen ihm nicht. Was soll er denn nun? Warum wurde er gerufen, wenn doch keiner nach ihm fragt? IRRITATION breitet sich in ihm aus.
Vielleicht ist mit dem König aber auch sein Vater gemeint. Der, der ihn gezeugt hat, kann nicht viel mit ihm anfangen. Er lehnt ihn ab. Damit spiegelt Kafka den Schmerz eines Kindes, das seinen Vater vermisst. Es kann nicht verstehen. Jedes Kind ist damit geboren, dass es seinen Vater liebt und dass es „erwartet“, dass sein Vater es liebt. Sei dieser Vater noch so komisch und noch so böse.
Wenn der Vater ihn nun ablehnt oder fortgegangen ist, dann breitet sich die IRRITATION in ihm aus. Es versteht die Welt nicht mehr: Der, den es ihn liebt und der, der es lieben sollte, der tut das einfach nicht. Es vermisst etwas. Es fühlt einen Schmerz, aber es kann diesen Schmerz nicht in Worte fassen, weil es oftmals nicht einmal weiß, was ihm fehlt: „Warum, Vater, hast Du mich denn gezeugt und liebst mich doch nicht?“
Vaterbeziehung
Das konfliktreiche Verhältnis zu seinem Vater gehört zu den zentralen und prägenden Motiven in Kafkas Werk.
Selbst feinfühlig, zurückhaltend, ja scheu und nachdenklich, beschreibt Franz Kafka seinen Vater, der sich aus armen Verhältnissen hoch gearbeitet und es kraft eigener Anstrengung zu etwas gebracht hatte, als durch und durch lebenstüchtige und zupackende, aber eben auch grobe, polternde, selbstgerechte und despotische Kaufmannsnatur. Die aus gebildeten Verhältnissen stammende Mutter hätte einen Gegenpol zu ihrem grobschlächtigen Mann bilden können, aber sie tolerierte – den Gesetzen des Patriarchats treu – dessen Werte und Urteile.
Im Brief an den Vater wirft Kafka diesem vor, eine tyrannische Macht beansprucht zu haben: „Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie Du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm und Jähzorn und in diesem Fall schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest.“
In Kafkas Erzählungen wird der Patriarch nicht nur als mächtig, sondern auch als ungerecht dargestellt; so in der Novelle Die Verwandlung, in der der zu einem Ungeziefer verwandelte Gregor von seinem Vater mit Äpfeln beworfen und dabei tödlich verletzt wird. Die Figur des Vaters – mächtig und furchterregend – ist es auch, die in der Kurzgeschichte Das Urteil den Sohn Georg Bendemann zum „Tode des Ertrinkens“ verurteilt – ein Urteil, das Georg in vorauseilendem Gehorsam an sich selbst vollzieht, indem er von einer Brücke springt.
Quelle: Wikipedia