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Ab durch die Mitte (c) by royalmg | photocase.com

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Josef, Mann Marias – Verlorener Sohn, wahrer Held und echter Vater

Über den Verlorenen Sohn sind sich die meisten Übersetzer und Kommentatoren einig: Er hat sein Erbe in der Fremde verprasst. Ohne zu zögern, würden viele zustimmen, dass er sein Hab und Gut mit Prostituierten durchgebracht hat. Dagegen protestiere ich! Sollen wir denn wirklich den Worten seines Älteren Bruders glauben, der ihm spinnefeind ist: „Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat“? Er kann doch nichts über die Lebensweise seines Bruders in der Ferne wissen!1 Haben seine Worte nicht dazu verleitet, ein anderes Wort mit „Prassen“ zu übersetzen, das eigentlich diese eindeutige moralische Wertung nicht besitzt?2

Nein, der Verlorene Sohn war keiner, der sein Geld mit Glücksspiel, Frauen und Alkohol durchgebracht hat. Jedenfalls muss es nicht so gewesen sein. Er war ein Mensch, der seinen Halt verloren hat, und der das, was er besaß, nicht festhalten konnte.3

Josef, Mann Marias – Verlorener Sohn, wahrer Held und echter Vater. Blogpost in gut lesbarem Format mit Fußnoten lesen.

Vor ein paar Wochen fing ich an zu fragen: Was machte Josef in Nazareth, 160 km von seinem Heimatdorf Bethlehem entfernt? War er ein verlorener Sohn, der in die Ferne zog? Josef war ein Zimmermann und ganz in der Nähe von Nazareth wurde eine vom Krieg zerstörte Stadt, Sepphoris, wieder aufgebaut4. Genug Grund, genügend Arbeit für einen Zimmermann aufzubrechen und seine Heimat hinter sich zu lassen? Josef wird als ein Mann beschrieben, dem der Aufbruch leichtfällt. Ein Engel spricht im Traum zu ihm und er macht sich auf den Weg nach Ägypten. Keine Spur einer Diskussion, die wir bei anderen biblischen Personen finden.5 Warum sollte er, der Aufbruchsbereite, nicht aufbrechen, um Arbeit zu finden?

Über Josef werden kaum mehr als ein paar Details verraten: sein Beruf, seine Herkunft, drei Träume. Er verkommt als stumme Hauptfigur in einem Krippenspiel. Lange galt er als „Übertölpelter“, dem ein Kind untergeschoben wurde. Hieronymus Bosch malt ihn auf einem Altargemälde so: „Er hockt fernab von Krippe und Königen und trocknet am Feuer eine frisch gewaschene Windel.“ “Es geht darum, ihn als Tölpel darzustellen.“ In „mittelalterlichen Krippenspielen sollte Josef die Leute zum Lachen bringen.“6

Und doch ist er der Held. Er ist derjenige, zu dem der Engel im Traum spricht. Er ist der Gehorsame, aber auch der Schweigsame, von dem kein gesprochenes Wort überliefert worden ist. Der Handwerker, der anpackt, ohne lange zu zögern. Er ist derjenige, der sein Leben riskiert und seine Heimat aufgibt – für ein fremdes Kind.

Und doch verschwimmt sein Leben im Ungewissen. Ein einziges Mal wird noch von ihm erzählt, als Jesus zwölf Jahre alt ist und im Tempel verloren geht. Sein Tod wird nicht erwähnt, der wohl irgendwann vor Jesu öffentlichem Wirken eintrat. Schon in den Stammbäumen bei Matthäus und Lukas gibt es Unklarheiten. Bei Lukas war er ein Sohn Elis, bei Matthäus ein Sohn Jakobs. Wir scheinen Josef so gut aus dem Krippenspiel zu kennen, und doch ist er nur ein Fremder aus der Fremde, der irgendwann auftaucht und irgendwie wieder verschwindet.

Hatte Josef einen älteren Bruder? Vielleicht. So deutet es sein Name an: „Gott fügt hinzu“. Gott hat einen Sohn hinzugefügt.7 Als Jesus von einem Mann erzählt, der zwei Söhne hat, da hat er einen bestimmten Mann vor Augen. Er spricht von einem gewissen Mann.“8 Nein, er meint nicht seinen Großvater irdischerseits, sei es Jakob oder Eli. Er meint Adam oder Jakob oder David oder eine andere bekannte biblische Person. Aber vielleicht hat er auch seinen Vater vor Augen, wie er von Zuhause abhaut, in die Fremde, in das ferne Land. Wie er sich mit seinem Großvater zerstritten hat. Anders als der Verlorene Sohn verliert Josef sein Leben jedoch nicht, sondern er baut es mit seinen eigenen Händen auf, Holzstück für Holzstück. Er ist ein Handwerker, einer, der bereit ist, anzupacken und aufzubrechen. Einer, der nicht lange zögert. Einer, wie er auf einer Großbaustelle gebraucht wird und der es dort zu einem bescheidenen Erfolg bringen kann.

Josef wäre nicht der erste fleißige, aber Verlorene Sohn in der Bibel. Kain rastet vor Wut aus, weil er hart arbeitet, aber keine Anerkennung findet. Absalom ist fleißig, geschickt und erfolgreich. Er hat einen feinen Sinn für Gerechtigkeit – und mordet und flieht, weil sein Vater David die Vergewaltigung an seiner Schwester ungesühnt lässt und zu müde ist, seine Erfolge mit ihm zu feiern. Ein Verlorener Sohn zu sein, bedeutet nicht unbedingt ein Säufer und Prasser zu sein.

Josefs erzähltes Leben beginnt knapp, bevor er nach Bethlehem zurückkehrt, seinem Heimatdorf. Sein Dorf ist überfüllt, die halbe Welt ist wegen der Volkszählung auf den Beinen. Aber sollte es wirklich so voll sein, dass für einen der Ihren kein Platz ist? Einer, der es versteht, mit seinen Händen zu arbeiten und der ein Anständiger, ein Gerechter ist, wie Matthäus ihn nennt. Einer, der nicht viele Worte macht, aber um so mehr die richtigen Taten folgen lässt?

„Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“9 lautet der einzige Kommentar von Lukas dazu. Maria und Josef – sie sind ja keine Ausländer, keine Flüchtlinge, die Asyl suchen, wie in diesen Tagen so oft erzählt wird. Sie kehren in ihr Heimatdorf zurück. Doch da ist niemand, der sie aufnimmt. Keine Herberge. Keine Verwandten. Kein Vater. Niemand. Ist das Dorf wirklich so überfüllt, dass niemand bereit ist, einem Fremden Gastfreundschaft zu erweisen? Ist da niemand, der bereit ist, eine Hochschwangere aufzunehmen? Kein Onkel, keine Tante, kein Vater, keine Mutter, die bereit sind, ihrem Verlorenen Sohn entgegenzugehen?

Sind seine einzigen Freunde in der Heimat wirklich nur ein Wirt (der bestimmt gut an ihnen verdient), Ochse und Esel, die Hirten und die Drei Weisen aus dem Morgenland? Dann ist Josef wirklich ein Fremder aus der Fremde. Dann ist sogar seine Heimat schon seine Fremde gewesen. Dann war er zuhause schon der Verlorene Sohn – und nicht erst als er aufbrach.

Dieser Schmerz, ein Fremder aus der Fremde, ein Fremder schon in der Heimat zu sein, hat sich so sehr in Josef hineingefressen, dass es fast keine Bedeutung mehr für ihn hat, als seine Verlobte schwanger ist, von einem Anderen, von einem Fremden. Er dachte nur: „Dann gehe ich halt ein weiteres Mal.“ Welche Bedeutung hatte es für ihn noch aus einer Fremde in die nächste Fremde zu gehen? Ist es so, dann ist es klar, warum der Aufbruch für Josef so etwas Einfaches ist.

Wir lesen die Geschichte des Verlorenen Sohnes, als die eines Verlorenen, der in fernen (exotischen?) Ländern sein Hab und Gut verprasst. Wir können uns seine Geschichte beinahe nicht anders vorstellen. Wir tun uns schwer zu erkennen, dass er einfach in ein Zwischenland, in ein Niemandsland entrinnt10, in dem es gar kein Vergnügen gibt. Dass der Verlorene Sohn nur ein weiterer Kain ist, der jenseits von Eden, fern von Zuhause, in das Land Nod irrt, in das Land des Umherwanderns und Umherirrens11. Wie Kain ist der Verlorene Sohn ist Josef unstet und flüchtig und kann keine Heimat finden – und kann fast keine Spur hinterlassen12. Ein Beruf, drei Träume, das ist alles, was von Josef übrigbleibt, nicht einmal seine Herkunft.

Und doch wird Josef in eine Reihe mit Abraham gestellt (der ja auch nur ein Fremder aus der Fremde war). „Für Matthäus ist Joseph nicht eine verschlafene Krippenfigur, sondern eine Glaubensgestalt vom Schwergewicht Abrahams!“13 Josef ist ein Mann des Aufbruchs. Er ist der Mann, zu dem Gott durch Träume spricht. Und besser noch als Abraham gehorcht Josef dem Reden Gottes. Sein Gehorsam und Glauben ist vorbildlicher als der des Abrahams, der aus Angst den Ismael zeugt. Ist Abraham bereit seine Frau dem König zu verraten, so will Josef seine Verlobte nicht in Schande bringen. Wie Abraham wird Josef der Gerechte genannt.14

Josef reicht an den anderen Josef heran. Jener Josef, der Sohn Jakobs, der „der Träumer“ genannt wird. Auf gleiche Weise sprechen Engel zu dem Sohn Davids im Traum. Aber anders als sein Vorgänger posaunt der Mann Marias seine Träume nicht hinaus, sondern behält sie für sich. Die Geschichten ähneln sich auch weiterhin: Die Brüder Josefs fürchten ihren Vorrang zu verlieren, sie töten ihn beinahe und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Der König Herodes fürchtet einen neugeborenen König und Josef flieht nach Ägypten. Bei beiden sind es Träume, die sie aus der Gefangenschaft bzw. dem Exil herausbringen.

Ist Josef auch ein Fremder aus der Fremde, so ist es doch ausgerechnet dieser Josef, der zum irdischen Vater von Jesus ausgesucht wird. Ist Josef schon nicht der leibliche Vater, so ist er doch derjenige, der den Sohn Gottes in den Kinderjahren prägt. Josef ist der Vater, der das irdische Leben Jesu Holzstück für Holzstück wachsen lässt. Der ihn religiös unterweist und zum Zimmermann ausbildet und so eine enge Verbindung zu seinem Sohn hat.15

Jesus hat von ihm allerdings mehr als sein Handwerk gelernt. Er hat in seinem irdischen Vater ein Vorbild gefunden: Josef war ein Mann, der bereit war, loszulassen und aufzubrechen. Er war einer, der auf einen Traum hin gehorsam war und nach Ägypten zu gehen. Er war einer, der bereit war, die vermeintliche Schande Marias auf sich zu nehmen. Josef war ein Mann, dem Barmherzigkeit gegenüber seiner Verlobten wichtiger als seine Ehre war. Während andere Väter schon bei ihrem eigenen Kindern die Weite suchen, wird Josef zum echten Vater und riskiert sein Leben, um für einen fremden Sohn auf die Flucht zu gehen. Josef war ein Mann, der nicht auf seine Privilegien achtete, sondern sein Leben und seine Ehre für die hingab, die er liebte.

Wenn es über Jesus heißt, dass er es nicht als gefundenes Fressen betrachtete, Gott gleich zu sein, sondern dass er sich selbst entäußerte, um Mensch zu sein und sogar für diese Menschen zu sterben16, so tat er das gewiss als Sohn seines Vaters im Himmel. Aber er hatte auch einen irdischen Vater, von dem er diese Haltung ablesen und erlernen konnte. Wie gut, dass Jesus so einen Josef zum Vater hatte!

Wir verstehen wir den Verlorenen Sohn? Wir werden ihm nicht gerecht, wenn wir den Worten seines Bruders glauben. Wir spüren dann nichts von seinem tiefen Schmerz und seiner Verzweiflung. Wie sollen wir ihn dann finden, wenn wir ihm begegnen? Es sind so viele Kains, Absaloms, Tamars, Josefs, Verlorene Söhne und Töchter da draußen. Einige von ihnen zählen zu den besten und angesehensten Menschen. Einer wurde sogar zum irdischen Vater des Sohnes Gottes. Bei einigen ist tatsächlich nur noch der Zerbruch sichtbar.

Josef, Mann Marias – Verlorener Sohn, wahrer Held und echter Vater. Blogpost in gut lesbarem Format mit Fußnoten lesen.


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