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Was sagt Gott dazu, wenn wir (über ihn) wütend sind?

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Hiob ist zum Inbegriff des leidenden Menschen geworden. Wie er es selbst beklagte, ist sein Leiden zum Sprichwort geworden: Hiobsbotschaft. So sagt man, wenn jemand wie Hiob großes Unglück erfährt. Alles hat er verloren: seinen Besitz, seine Kinder, seine Gesundheit, seinen guten Ruf und sein Ansehen. Sein Tod scheint nur noch eine Frage weniger Tage zu sein. So sehr wurde Hiob zugesetzt.

In seinem großen Schmerz stöhnt er, beklagt er sich und verzweifelt. Dabei gibt er Sachen von sich, die seinen Kumpanen den Kragen platzen lassen:

Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin! … Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß? Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? Warum hat man mich auf den Schoß genommen? Warum bin ich an den Brüsten gesäugt? Hiob 3, 3+11-12
Dass mich doch Gott erschlagen wollte und seine Hand ausstreckte und mir den Lebensfaden abschnitte! Hiob 6, 9
Jeden Morgen suchst du ihn heim und prüfst ihn alle Stunden. Warum blickst du nicht einmal von mir weg und lässt mir keinen Atemzug Ruhe? Hab ich gesündigt, was tue ich dir damit an, du Menschenhüter? Hiob 7, 18-20
Wenn ich ihn auch anrufe, dass er mir antwortet, so glaube ich nicht, dass er meine Stimme hört, vielmehr greift er nach mir im Wettersturm und schlägt mir viele Wunden ohne Grund. Er lässt mich nicht Atem schöpfen, sondern sättigt mich mit Bitternis. Hiob 9, 16-18
Meine Tage sind schneller gewesen als ein Läufer; sie sind dahingeflohen und haben nichts Gutes erlebt. Hiob 9, 25.

Das sagt einer, der mehr Wohlstand als irgendein anderer Mensch zu seiner Zeit erfahren hat!

Ja, ihr seid die Richtigen, mit euch wird die Weisheit sterben! Hiob 12, 2
Aber ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte. Hiob 13, 4
Siehe, ich bin zum Rechtsstreit gerüstet; ich weiß, dass ich recht behalten werde. Hiob 13, 18
So merkt doch endlich, dass Gott mir unrecht getan hat und mich mit seinem Jagdnetz umgeben hat. Siehe, ich schreie »Gewalt!« und werde doch nicht gehört; ich rufe, aber kein Recht ist da. Er hat meinen Weg vermauert, dass ich nicht hinüberkann, und hat Finsternis auf meine Steige gelegt. Er hat mir mein Ehrenkleid ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen. Er hat mich zerbrochen um und um, dass ich dahinfuhr, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. Sein Zorn ist über mich entbrannt, und er achtet mich seinen Feinden gleich. Hiob 19, 6-11

Was sagen Hiobs Kumpanen dazu?

Hiob redet mit Unverstand, und seine Worte sind nicht klug. Hiob 34, 35

Und haben sie nicht recht damit?

In diesem Punkt ähnelt Hiob uns so sehr, wenn wir leiden! Wie können wir wüten, wenn Schmerzen uns plagen! Wie sehr sind unsere Worte dann mit Bitterkeit und Anklage erfüllt und wir treten gegen alles aus, was uns zu nahekommt, auch wenn man uns helfen will.

Wie sehr ist unsere Seele dann von Dunkelheit und Finsternis erfüllt. Wir können dann weder Licht noch Hoffnung erfassen und wie sehr wünschten wir uns dann, dass alles bald zuende geht!

Wie sehr verrückt sich unser Zeitgefühl ins Unendliche und haben dann das Gefühl, dass wir schon immer so gelitten haben und immer so leiden werden, selbst wenn unser Leben noch gestern voller Sonnenschein war!

Wie normal und wie vertraut scheinen uns dann Hiobs Worte der Wut, der Anklage und Bitterkeit, der Verzweiflung und Depression! Wie leicht sagen wir dann Worte, die wir später vielleicht selbst bereuen! Über die unsere Kumpanen vielleicht den Kopf schütteln und sagen: „Er ist von Sinnen!“. Manchmal mitleidig, aber manchmal auch aufgebracht. Wie leicht verletzen wir, wenn wir leiden, gerade die, die uns lieben und die uns eigentlich nur helfen wollen!

Und Gott? Was sagt Gott zu Hiob und dann auch zu uns?

Mein Zorn ist entbrannt über dich und über deine beiden Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob. Hiob 42, 8

Gott kanzelt Hiobs Kumpanen ab und lässt sie ein Bussopfer bringen und stellt sich ganz auf die Seite Hiobs. Ja, Hiob muss sogar für seine Kumpanen beten.

Wie kann das sein, dass jemand solch unangemessenen Sachen sagt und in Gottes Augen trotzdem recht geredet hat? Die alten jüdischen Weisen drücken das so aus:

„Obwohl Hiob gewisse Worte von sich gegeben hat, die falsch und unangemessen waren, so wurde er dafür trotzdem nicht betraft, weil er sie in einer schweren Zeit des Leidens gesagt hat.“

Was ein Mensch unter großen Schmerzen sagt, das wird ihm nicht als Sünde angerechnet!

Gott lässt sich von unseren Worten nicht aus der Ruhe bringen. Wir können und dürfen mit unseren Schmerzen und unserer Verzweiflung zu Ihm kommen. Dabei müssen unsere Worte nicht wohlüberlegt sein und dürfen sogar unangemessen und falsch sein. Was immer wir äußern: Gott kommt durchaus damit zurecht. Warum auch nicht? Er ist ja kein kleines, empfindliches Kind. Er steht erhaben auch über unsere Worte.

Eine einzige rote Linie gab es dabei für Hiob und dann wohl auch für uns: Wir können Gott anklagen, aber wir sollen Gott nicht abschwören.

Am Rande sei bemerkt, dass Gottes Geduld nicht nur für die Zeiten unseres Leidens gelten, sondern auch dann, wenn wir im jugendlichen Übereifer über das Ziel herausschießen. Elihu geht Hiob und auch seine Kumpanen voller Zorn an und redet noch härter zu Hiob als sie. Man spürt förmlich wie seine Wut herausbricht: Viermal setzt er zu einer Rede an, ohne dass er Hiob zu Wort kommen lässt. Dennoch wird auch Elihu nicht bestraft.


 

The Gemara comments: On the one hand, the text states: “Job has spoken without knowledge, and his words were without wisdom” (Job 34:35). But on the other hand, it is written with regard to Job’s friends: “You have not spoken of Me the thing that is right, like my servant Job” (Job 42:8). Rava said: From here it may be inferred that a person is not held responsible for what he says when he is in distress. Although Job uttered certain words that were wrong and inappropriate, he was not punished for them because he said them at a time of pain and hardship. Bava Batra 16b

 

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