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Zungenbrecher

Diesen Artikel im Layout und mit Fußnoten lesen || Mehr über das Buchprojekt Kinder sind keine Hunde

Für einen Moment stand das Universum still.

Eben noch tobten die Urkräfte. Eben noch schoben sich Himmel und Erde, Wasser und Licht an die richtige Stelle. Eben noch staute es sich, spross es, leuchtete es. Dann ein Freudenschrei – und Stille: „Habt Ihr gesehen, was ich gerade gemacht habe?“

Der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Der, der gerade eine ganze Welt geschaffen hat: die Sonne, die Planeten, die norwegischen Fjorde und all das mehr. Dieser Gott erzählt davon, dass er Walfische geschaffen hat.1

Wäre Gott ein Kind, so liefe er mit Becherlupe durch den Wald und beobachtete all´ die Krabbelviecher. Von denen er nicht nur eine Sorte gemacht hat, sondern viel mehr als der Mensch jemals entdeckte und viel mehr als nötig.

Wenn man die Schöpfungsgeschichte liest, so ist es nicht die entscheidende Frage, ob Gott die Welt in 6 Tagen oder in ein paar Milliarden Jahre geschaffen hat. Die Frage ist: Wie sieht Gott die Welt? Wie sieht er den Menschen? Warum in aller Welt gibt es uns?

Seine Antwort ist anders als die der Menschen. Was immer er geschaffen hat: Es ist gut. Mit Ausnahme des Menschen: Der ist sehr gut.

Wären wir zur Zeit der Babylonier geboren, es wäre unsere Bestimmung, ein Dienstbote der Mächtigen zu sein2. Im Tibet ginge es darum, diese nichtige Welt hinter sich zu lassen. In der Matrix und den ihr nahestehenden esoterischen Lehren, ist die Welt nur ein Trug, gesteuert von bösen Wesen. Für viele Christen ist der Körper etwas Sündiges. Für den modernen „befreiten“ Menschen ist es schon etwas Böses, überhaupt nur zu sein. Zu atmen und CO² zu produzieren. Etwas zu verbrauchen. Ein Mann zu sein. Eine Frau zu sein. Eine Überzeugung zu haben. Irgendwie lautet die Antwort immer: Der Mensch ist nicht gut.

Diese Antwort haben wir so sehr verinnerlicht. Wir können uns selbst nicht mehr bejahen.

Die Schöpfungsgeschichte ist mehr als eine schöne Geschichte und mehr als etwas, das man im Poesiealbum zitieren kann. Sie stellt sich gegen den Zeitgeist und gegen die Überzeugung derjenigen, die den Ton angeben: Die Welt ist gut. Der Mensch ist sehr gut. Wo hat man das schon mal gehört?

Und doch ist nicht alles gut: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“.3 In einer Welt, die Paradies ist, in der es keinen Hunger, keine Kälte, keinen Schmerz gibt, gibt es etwas, das nicht gut ist: Einsamkeit. Diese Einsamkeit ist mehr als nicht gut. Sie ist lebensgefährlich und so bedrohlich, dass Gott ihm eine Lebensretterin an die Seite stellt.

Luther und Co. haben sich an dieser Stelle eine glatte Fehlübersetzung geleistet. Da steht weder Wesen noch Gefährtin, noch Gehilfin. Adam hat keine Haushaltshilfe gebraucht, die ihm den Abwasch macht, sondern eine Lebensretterin, so wie das Wort auch in anderen Zusammenhängen gebraucht wird: „Ich aber bin elend und arm; Gott, eile zu mir! Du bist mein Helfer und Erretter; HERR, säume nicht!“45

Überhaupt scheint dieser Satz: „ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei“ unübersetzbar zu sein. Ich übersetzte ihn mit „In Ulm und um Ulm und um Ulm herum.“

Diese Beziehung ist von Mann und Frau ist so nahe und so zungenbrecherisch miteinander verknotet, dass es je nach Übersetzung heißt6: „die um ihn wäre“, „ihm entsprechend“, „zu ihm passte“, „seines Gleichen“ oder gar „ihm Gegenpart“. Eva war Mrs. Right für Adam („was right for him“) und sein vis-à-vis. Sie sah ihm ähnlich. Da trafen sich zwei, die füreinander geschaffen waren.

Da gibt es keine Hierarchie, sondern nur ein Miteinander und Füreinander. Und wenn es eine gäbe, so stünde die Retterin über dem Geretteten.

Gott hat alles gut oder gar sehr gut gemacht. Aber es blieb nicht alles beim Guten. Da war jener Baum im Garten, der sie befähigte, zu bewerten, zu vergleichen, zu urteilen und zu verurteilen. Zu unterscheiden zwischen Gut und Böse.7 Und in dem Moment war nichts mehr gut.

Aus der Gemeinschaft ist eine Hierarchie geworden8. Die Frau mit einem Verlangen nach dem Mann. Er aber ist ihr Herr geworden. Worauf sich Generationen über Generationen berufen, ist nicht mehr als ein Fluch. Es konnte nichts Schlimmeres passieren.

Wenn in einer vollkommenen Welt ohne Hunger, Kälte und Schmerz Einsamkeit lebensbedrohlich war, wie untragbar ist Einsamkeit in einer Welt voller Mangel, Verletzungen und Krankheiten?

Da ist eine Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft, aber alles was Adam und Eva finden, ist Unterdrückung und Herrschaft.

Adam ist nun Bauer auf einer Ackerscholle, die nicht genug hergibt, um ihn und seine Familie satt zu machen. Es ist kalt. Der Weg zum Paradies endgültig durch Cherubim mit flammendem Schwert versperrt.

Es gibt kein Weg zurück.
Es ist nicht alles gut in dieser Welt. Seit Jahrtausenden fragen Menschen nach dem Warum. 

Christen sehen oft den Ursprung allen Bösen im Sündenfall. Aber was heißt das genau: „Sünde“? Und warum hat eine Tat so lange vor mir Auswirkungen auf mein Leben?

Der Ursprung allen Bösen ist das Richten und das Verurteilen. Die Überzeugung eines jeden Menschen selbst einer der Guten zu sein und die Anderen als Böse zu bezeichnen. Davon wird ein anderes Buch handeln und das Hiob-Projekt.

In diesem Buch geht es um unseren Schmerz und das, was wir vermissen. Dazu haben Menschen viele Theorien aufgestellt.

Nach Freuds Psychoanalyse sorgen die verdrängten und unterdrückten Triebe für das Unglück des Menschen.

Der Kommunismus sieht eine Gesellschaft, in der allen alles gehört und alle gleich sind, als das Heil der Menschheit.

Der Feminismus sieht in der Unterdrückung der Frau das Grundübel.

Gender Mainstream sieht schon Geschlechtlichkeit an sich als einen Fehler an.

Homosexuelle sehen das Ende ihres Schmerzes, wenn sie nicht mehr diskriminiert werden.

Dass viele sehr arm und sehr wenige reich sind, erzeugt Leid. Dass Menschen Gewalt erleben, versklavt und entmündigt werden, gehört dazu.

Wenn jeder nur Arbeit hätte.

Weniger politisch ist unser Empfinden, dass alles nur gut wäre, wenn wir nur mehr Geld hätten, schöner, erfolgreicher, klüger oder anerkannter wären.

Wenn wir nur wären, wie der und der oder wie die oder die, dann ginge es uns gut!

Alle diese Dinge haben mehr oder weniger ihre Berechtigung. Allzu oft verstellen sie jedoch den Blick auf unseren eigentlichen Schmerz.

Wir haben etwas im Paradies zurücklassen müssen: Nicht länger können wir in der Kühle des Abends mit Gott spazieren gehen. Nicht länger haben wir eine innige Gemeinschaft zwischen Mann und Frau. Wir haben die Fähigkeit zu echten Begegnungen von Mensch zu Mensch verloren. Wir sind Einsame geworden und unser tiefster Schmerz ist der Mangel an Gemeinschaft.

Gilbert Bilezikian, der Mentor Billy Hybels,drückt den Traum Gottes für den Menschen mit dem Wort „Gemeinschaft“ aus und beschreibt das so:
„Ich glaube, viele von uns tragen (unbewusst) in ihrem Inneren einen leisen Schmerz mit sich herum, der nie verschwindet. … Was den Kern unseres Seins aufwühlt, ist das Bedürfnis, zu kennen und erkannt zu werden, zu verstehen und verstanden zu werden, bedingungslos und für alle Zeit ohne die Furcht vor Verlust, Verrat oder Zurückweisung.“9
Bei Alfred Adler, ein Schüler und späterer Widerstreiter Sigmund Freuds ist der tragende Gedanke:
„die Erkenntnis von der Bedeutung der menschlichen Gemeinschaft für die Entwicklung des Charakters, für jede Handlung und Gefühlsregung des Menschen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das schon Aristoteles ein Zoon Politicon nannte. Alle seine Probleme hängen von seiner Haltung zur Umwelt ab. Diese Vorstellung der menschlichen Natur hat weittragende Bedeutung für das Verständnis menschlicher Eigenschaften, für die Entwicklung sowohl des Einzelnen wie der Gemeinschaft und vielleicht sogar für das Geschick der Menschheit.“10
Von dieser Erkenntnis aus entwickelt Alfred Adler die Individualpsychologie und einen der wichtigsten Ansätze der modernen Pädagogik. Einer Pädagogik, die in weiten Teilen diesem Buch zugrunde liegt. Er sieht den Menschen als Individuum, das danach strebt, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.11

Als westliche Christen haben wir den Sinn und das Gefühl für die Gemeinschaft so sehr an den Rand gedrängt. Jeder redet von seiner Beziehung zu Gott, von seiner Stillen Zeit. Jeder ist alleine seines Glückes Schmied geworden und soll seine Probleme alleine bewältigen und gibt dann verständlicherweise auch nichts von seinen Erfolgen ab.

Da liegt der große Irrtum der Moderne: Der Mensch ist nie für sich alleine verstehbar, sondern immer nur als Teil und in Bezug auf die Gemeinschaft.

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