Zu der Zeit Jesu gab es verschiedene religiöse Gruppen, die auf ihre sehr verschiedene Weise auf das Kommen des Reiches Gottes warteten. Vermutlich kann man zu jeder Zeit Gruppen finden, die denen entsprechen – so auch heute.
Die Menschen erwarteten das Reich Gottes und zur Zeit Jesu litten sie konkret an den der römischen Herrschaft. Es gab die Zeloten, die sagten: „Mit aller Gewalt: die Römer müssen weg!“ Sie waren bereit mit Waffen gegen die Römer zu kämpfen, was dann 70 nach Christus zu der Zerstörung des Tempels führte. Da waren die Sadduzäer, die sagten: „Ach, was. Mit den Römer geht es uns doch gar nicht so schlecht.“ Das waren die, die von der römischen Herrschaft profitierten. Konsequenterweise hatten die Sadduzäer auch kein besonderes Interesse an der Auferstehung der Toten. Es reichte ja, dass es ihnen jetzt gut ging. Dann waren da die Pharisäer. Das waren nicht die Bösen, wie sie immer mal wieder dargestellt werden. Sie hatten ein echtes Interesse am Kommen des Reiches Gottes oder an der kommenden Welt, wie sie das auch nannten. Mit ihnen hat sich Jesus immer wieder auseinandergesetzt. Sie glaubten: Wenn das ganze Volk Gottes ein (oder zwei?) Sabbate hintereinander alle Gebote hielten, dann käme das Reich Gottes. Alle Menschen mussten alle Gebote halten. Die Pharisäer hatten eine echte Sehnsucht nach der kommenden Welt. Wie schlimm waren für sie alle diese Sünder. Sie konnten sich anstrengen, wie sie nur wollten: Solange die da sündigten, war ihnen allen die kommende Welt verwehrt.
Das muss man als Hintergrund wissen, um das Gleichnis des Verlorenen Sohnes, der Verlorenen Söhne oder eben des Verlorenen Vaters zu verstehen. Denn das ist der Hintergrund, zu dem Jesus einen Dreiklang von Gleichnissen erzählt:
„Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Lukas 15,1+2
Das, was Jesus macht, verhindert in den Augen der Pharisäer das Kommen des Reiches Gottes. Jesus selbst ist demnach das Hindernis dafür. Sicherlich waren einige unter den Pharisäern, die ernsthaft überlegten, ob Jesus der verheißene Messias ist. Aber kann er es wirklich sein? Kann der Messias so etwas machen?
Jesus erzählt darauf diesen Dreiklang: vom verlorenen Schaf, von der verlorenen Münze – und von den verlorenen Söhnen. Wir tun gut daran, diese Gleichnisse aus unserer Sicht zu lesen. Aus der Sicht derer, die bitterlich verloren waren und die wiedergefunden worden sind. Wir verpassen jedoch die eigentliche Absicht der Gleichnisse, wenn wir sie nur aus unserer Sicht lesen. Jesus erzählt diese Gleichnisse, um die Einstellung der Pharisäer zu den Sündern zu verändern. Er zeigt auf: Wenn ihr euch aufmacht zu den Sündern und sie sucht, dann beginnt das Reich Gottes. Wie das genau gemeint ist, beschreibe ich in dem Preview meines Buches: KINDER SIND KEINE HUNDE.
Über die verschiedenen jüdischen Gruppen:
– Paul Gibbs: The Line and the Dot