Ich muss zugeben, dass ich keine der vielen Auslegungen zur Jahreslosung gelesen habe: „Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Insofern kann ich auch nicht beurteilen, ob das, was ich schreibe, originell ist und eine Ergänzung. Aber es ist ein Teil meiner persönlichen Geschichte, an den ich mich durch sie erinnerte. Wir haben diesen Text in unseren Haverim-Treffen bewegt, in denen wir ein Text viermal auf vier verschiedene Weisen bearbeiten. Dabei brodelt der Text dann meist den ganzen Tag in mir.
Wie immer wurden wir nicht zum eigentlichen Vers geschickt, sondern zum ganzen Kapitel und natürlich haben wir uns schon in den ersten Versen verloren. Paulus wirft hier eine wichtige Frage auf: Was gibt ihm, was gibt uns eine Legitimation? Was berechtigt ihn als Apostel aufzutreten und was berechtigt uns, eine Stellung innezuhalten?
Zunächst mal scheint das eine sehr theoretische Frage und Paulus führt hier und an anderen Stellen eine Menge Gründe an, die ihn in der jeweiligen Situation legitimieren:
– er führt seine Berufungsgeschichte an, in der er Jesus begegnet und in der er vorübergehend erblindet und dass Gott zu anderen redet, dass das real ist
– er schreibt, dass er ein sehr frommer, eifernder, die Christen verfolgender Jude mit einem bedeutenden Rabbi Gamaliel war
– er pocht darauf, dass er römischer Staatsbürger von Geburt an und nicht etwa erkauft ist.
– er pocht darauf, dass er jüdischer Bürger ist
– er deutet an, dass er mehr in Zungen betet als alle anderen und vermutlich bis heute einzigartige übernatürliche Offenbarungen erlebt hat
– er listet die Vielzahl von Verfolgungen und Misshandlungen auf, die an ihm geschehen sind
Was immer seine Gegner anführen und womit sie ihn auch infrage stellen wollen, so lautet die Antwort von Paulus: „Seid ihr das und das, so sage ich euch: ‚Ich bin es umso mehr!'“ Es scheint wohl kaum ein Gebiet zu geben auf dem Paulus passen und sich geschlagen geben müsste.
Die Frage nach unserer Berechtigung ist ganz und gar nicht theoretisch, sondern sie etwas, was uns im Innern antreibt. Wir beweisen den anderen immer wieder, warum wir eine bestimmte Position einnehmen dürfen, warum wir einen bestimmten Beruf ausüben dürfen, warum wir zu etwas berechtigt sind:
– weil wir ein bestimmtes Ausbildungszertifikat haben
– weil wir einen bestimmten Titel haben
– weil wir ein gewisses Alter und eine gewisse Würde haben
– weil wir eine bestimmte Herkunft und gesellschaftliche Stellung haben
– weil wir über das nötige Geld verfügen
– weil wir der Beste sind oder es zumindest so aussehen lassen
– weil wir über die nötigen Beziehungen verfügen
– weil wir viel arbeiten
– weil wir viel verdienen
– weil wir Chef sind
– weil wir viel spenden
– weil wir treu sind
– …
Diese Dinge sind nicht unbedingt schlecht und doch spüren wir hin und wieder, dass die Berechtigung, die uns diese Dinge vermitteln, nur allzu oberflächlich sind. Manchmal ist jemand an der richtigen Stelle, obwohl er nichts von allem hat. Manchmal ist jemand an der falschen Stelle, obwohl er alles davon hat.
Paulus argumentiert so: „Wisst ihr, wenn es darum geht, so könnte ich euch jedes erdenkliche Zertifikat und jede erdenkliche Berechtigung herbeibringen. Aber darum geht es nicht.“
„Wenn ein anderer meint, er könne sich auf Fleisch verlassen, so könnte ich es viel mehr, der ich am achten Tag beschnitten bin, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen. Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne …“ (Philipper 3, 4-8)
Paulus schiebt alle diese Dinge weg, die er mehr als wir alle zusammen anführen könnte. Seine Identität ist neu geworden, als er aufgehört hatte, um seine Identität zu kämpfen. Und dieser Mann hat wie ein Berserker um seine Identität gekämpft! Er bezieht seine Identität aus dem, was ein anderer Mann für ihn getan hat. Was Jesus am Kreuz für ihn getan hat. Das, so spürt er, ist eine Identität, die ihm niemand mehr rauben kann, weil sie ja nicht in ihm, sondern in Jesus verborgen ist.
Man sollte dabei nicht meinen, dass „Schwäche“ dabei das entscheidende Wort ist, sondern es ist das Wort „Kraft“. In dem Moment, an dem wir unsere Legitimation nicht mehr aus uns heraus suchen, in dem Moment wird eine Kraftquelle frei.
Es gab einen Moment, in meiner Geschichte mit Pais – Pais war da schon lange im Gange – da habe ich neu gespürt, welchen Einfluss ich haben kann. Es war so, als ob Gott mich in einen neuen Level versetzen wollte. Ich habe mich ernsthaft gefragt, warum Gott mich an diese Stelle setzen sollte. Was zeichnet mich aus? Was berechtigt mich dazu?
Wie Paulus könnte ich einige Dinge aufzählen. Dedede … dedede … dedede. Ich könnte Dir von meinem Studium an der Akademie für Christliche Führungskräfte erzählen oder dass ich über 16 Jahre in der Jugendarbeit aktiv bin oder … Es gibt Dinge, Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse, die ich nur meinem Coach erzähle. Und doch war alles das unbedeutend und klein, wie Paulus sagte: Was ihm mal etwas bedeutet hat, bedeutet ihm nun nichts mehr, ja schadet ihm sogar.
Das Einzige, was eine Bedeutung hatte und das Einzige, was mich dazu bewog, mich auf Gottes neues Handeln mit mir einzulassen, und diese neue Position einzunehmen war, dass ich ein Mensch war, der es gelernt hatte, seine Berechtigung nicht aus dem zu ziehen, was er selbst war, tat oder darstellte, sondern sich ganz und gar in dem wiederzufinden, was Jesus am Kreuz getan hat. Ich dachte: Wenn es das ist, was die Menschen von mir lernen, wenn ich an der neuen Stelle stehe, dann ist es gut. Dann will ich an dieser Stelle stehen.
Und so verbindet sich die im Januar 2012 wohl meistzitierte Bibelstelle der Welt mit meiner eigenen Geschichte und ich zitiere sie hiermit ein weiteres Mal:
Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
Sie beschreibt nicht nur, wie ich dorthin gekommen bin, wo ich heute stehe, sondern drückt in der Hauptsache aus, was ich vermitteln will. Durch das, was ich sage und schreibe, aber wesentlich mehr und bewusster durch die Art, wie ich lebe und Menschen dadurch präge.