Ich habe immer gesagt, dass es keine Antwort auf die Frage des WARUM gibt. Warum gibt es Leid in der Welt, die Gott doch so wunderbar gemacht hat? Wo kommt das Böse her? Mir war die Antwort immer genug, die der Psalm 23 gibt: DENN DU BIST BEI MIR. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. Die Tage dunkel waren. Mir war es genug zu wissen, dass da kein zynischer Gott oben droben, weit entfernt sitzt, der mit einem Brennglas Menschen wie Ameisen quält: Gott wurde Mensch. Er kam in diese Welt. Er starb am Kreuz. Was immer mich quält und was immer andere Menschen an viel übleren Unglück erleben: Gott ist am Kreuz an meine Seite gekommen.
Manchmal rutscht es mir immer noch heraus: Zu sagen, dass es keine Antwort auf das WARUM gibt. Aber das stimmt nicht. Der Ursprung des Bösen ist in der Bibel ziemlich genau beschrieben. Vielleicht war es sogar das Allererste, was die Menschen in den biblischen Büchern aufgeschrieben haben. Und doch ist es die Botschaft, die wir bis heute nicht klar verstanden haben.
A STORM WILL RISE. A FIRE WILL FALL.
Am Anfang der biblischen Bücher steht nicht die Genesis, sondern Hiob, das vermutlich älteste Buch der Bibel. Wie beinahe an keiner anderen Stelle wird uns ein so klarer und unverschlüsselter Einblick in die himmlischen Welten gegeben. Aber vielleicht ist es gerade diese vermeintliche Klarheit, die uns getäuscht hat. Vielleicht haben wir es als Märchen abgetan, als eine Erzählung oder wir haben uns mit der allzu wörtlichen Bedeutung zufrieden gegeben.
„Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen. Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her?“ Hiob 1, 6+7
Die Gottessöhne, die Gemeinschaft derer, die mit Gott verbunden waren, sie versammelten sich in der Gegenwart Gottes. Was für ein HERRlicher, heiliger Ort muss das sein. Lobpreis erklingt über diesen wunderbaren Gott, in dem kein Dunkel und kein Schatten ist. Der diese wunderbare Welt gemacht hat. Der den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat – und alles das war gut, wenn es nicht sehr gut war.
Plötzlich aber geschah etwas Unerwartetes. Ein Aufschrei entglitt Gott: „Wo kommst Du her?“ Gott wollte ja nicht wissen, was der Satan so gemacht hat, ob er sich in dem einem Land oder in dem anderen herumgetrieben hat. Vielmehr: „Was machst Du hier?“ „Wie kann es sein, dass Du hier bist?“
Vielleicht hast Du Dich gefragt, wer die Gottessöhne sind und bist auf der Suche nach einer Antwort auf abenteuerliche Theorien gestoßen. Vielleicht sind die Gottessöhne nicht mehr als das: die Söhne und Töchter Gottes, die Kinder Gottes. Die Gemeinschaft derer, die mit Gott verbunden sind. Vielleicht beschreibt diese Szene nicht mehr als das: eine Gemeinde, die im Lobpreis und in der Anbetung Gottes steht. Eine Gemeinde, in der alles einmal war, wie es sein sollte und plötzlich tritt er auf, der Satan: Wie kann es sein, dass der Satan, das Böse Raum hat an einem Ort voller Lobpreis? Wie können wir gleichzeitig Christen sein und gleichzeitig dem Bösen so viel Raum geben? Manchmal scheint in einer Gemeinde irgendwie der Wurm drin zu sein, ganz so wie es im Unglück Hiobs beschrieben wird: Krankheiten und Unglücke häufen sich. Wie kann das sein? Wo kommt das her?
Nachdem der Satan seine belanglose Antwort nach dem Woher gegeben hat, (Ich war hier und dort: „Ich habe die Erde hin und her durchzogen.“ Hiob 1,7), lenkt Gott das Augenmerk auf Hiob. Hiob muss so etwas wie ein Stammesfürst gewesen sein, ein Clanchef, das Oberhaupt einer Familie, die sich über die ganze Region erstreckte. Weit und breit war keiner so reich wie er. Alles gehörte ihm und alle arbeiteten für ihn. Er war der Chef. Und er war ein frommer Mann, der mit ganzem Herzen Gott nachfolgte. So gut, wie er Gott eben verstanden hat. Ein Mann nach dem Herzen Gottes, so wie es Gott selbst bezeugt. Die Antwort Satans ist schroff: „Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt’s, er wird dir ins Angesicht absagen!“ Hiob 1, 9-11. Nicht lange darauf fällt ein Feuer vom Himmel und es zieht ein Sturm auf, der die Existenz Hiobs bis in den letzten Winkel zerstört. Nur er selbst, also auch seine Frau, überlebt. Hiob ist tief von Krankheiten gezeichnet. Die Menschen meiden ihn und seine Frau ekelt sich vor seinem Mundgeruch.
WARUM nun musste Hiob alles das erleiden? War es nicht mehr ein bloßes Schachspiel zwischen Gott und dem Satan, bei dem alle Bauern und alle anderen Figuren geopfert wurden und nur noch die Dame und der König übrigblieben? Ist Gott doch nicht mehr als ein kleiner Junge mit einem Brennglas oder einer, der sich auf eine dumme Mutprobe einlässt, weil die anderen schreien: „Du traust dich ja doch nicht?“
Wir müssen die Worte Satans wörtlich nehmen und wir müssen uns erinnern, wann wir sie in ihren Variationen schon einmal gehört haben:
„Ach, Hiob. Weißt Du, das ist kein besonderer Mensch. Wenn ich an seiner Stelle wäre, wenn ich genauso reich geboren wäre, wenn ich seine Eltern gehabt hätte, wenn …, dann wäre ich genauso wie er. Ich könnte es genauso – und eigentlich: ich könnte es besser. Wenn man mich nur ließe, aber man läßt mich ja nicht.“
„Ach, unser Gemeindeleiter. Weißt Du, der hat es einfach nicht drauf. Vielleicht hatte er es früher mal, aber wer weiß. Der hat ja auch nur studiert / seinen Abschluss an der Bibelschule gemacht. Ich könnte das alles viel besser, aber ich darf ja nicht predigen.“
„Hiob, mein Chef, mein Leiter, mein Vater … ist einfach kein besonderer Mensch.“
Vielleicht war es auch ein Dieb, der da gesprochen hat, einen, den Hiob als Richter verurteilt hat: „Was weiß Hiob schon von meinem Leben? Wäre Hiob so arm geboren wie ich, er hätte auch gestohlen! Was weiß Hiob schon von Hunger und Armut?“
Vielleicht ein Gemeindemitglied, das vom Gemeindeleiter zurechtgewiesen wurde und das nun schmollt: „Der hat ja keine Ahnung in welchen Schwierigkeiten ich stecke. Der soll nur einmal an meiner Stelle leben!“
Hast Du diese Worte schon irgendwann, irgendwo gehört? In einer ähnlichen Weise? In einer ihrer zahllosen Variationen? Sind es vielleicht sogar Deine eigenen Worte? Die himmlische Szene ist kein Schachspiel alter, gelangweilter Herren. Sie ist ein Spiegelbild dessen, was Tag für Tag und irgendwann ziemlich bald am Anfang geschah. Da sind Menschen, die gut und böse unterscheiden können in dem Sinne, dass immer sie die Guten und immer der Andere und besonders die da oben die Bösen sind. Menschen, die sich zum Verbündeten des Anklägers gemacht haben und den Anderen richten und verurteilen. Die mit ihren Worten einen zerstörerischen Sturm entfachen, der das Leben des Anderen zerstört, aber der letztlich alles und auch ihr eigenes Leben zerstört.
WARUM es das Böse gibt? Wo das Leid herkommt? Wir können uns eben nicht herausreden mit der Figur des Satans, der wir alle Schuld zuschieben können. Es sind unsere eigenen Worte, das Richten, das Verurteilen, das Besserwissen, das der Ursprung des Bösen ist. Worte, die sogar Raum haben mitten im Lobpreis – wie unfassbar das auch ist. (Kann denn süßes und salziges Wasser aus einer Quelle kommen?)
Der Prophet Jesaja sieht in eine bessere Welt: eine Welt ohne Krankheit, ohne Dunkelheit. Eine Welt, in der die Trümmerstätten, all das Kaputte wieder aufgebaut wird. Eine Welt, die aufblüht. Die lebendig ist. Er sieht den Gottesdienst, die Art, wie wir diese neue Welt wieder aufrichten können: wenn Du „nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest“. Gutes und Böses kann aus Deinen Worten entstehen. Sie sind nicht etwas Privates, etwas, das Du nur so vor Dir herredest. Sie sind wie Winde, die sich zu einem großem Sturm ausweiten können.
Ich bin erschrocken, wenn mir klar wird, welche Bedeutung meine Worte haben können.
„Was kann der schon, was ich nicht kann? Was ist so Besonderes am Menschen?“ Vielleicht sind das ja auch die Worte Satans gewesen, als der Mensch geschaffen worden ist und einen derart bevorzugten Platz bekommen hat. So beschreibt das Buch Hiob vielleicht die grundsätzliche Eifersucht des Satans auf den Menschen.
„A storm will rise“ ist das Thema des dritten Teil der Dark-Knight-Serie. Ein Sturm zieht über der Welt, über Gotham City, auf, weil sich die erheben, die sich zu Unrecht im Gefängnis sehen und weil sie sich vom Reichtum ausgeschlossen fühlen.
So weit ich weiß, verwende ich hier keinen Gedankengang von René Girard. Ganz sicher sind meine Gedanken an dieser Stelle, aber von ihm inspiriert.
„tikkun olam“ – das ist das Bemühen, diese Welt zu reparieren. Diese Welt, die nicht nur im Sichtbaren, sondern auch im Unsichtbaren zerbrochen ist. Ich denke, meine Gedanken zeigen einen Weg in diese Richtung.