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Predigt am 3. Advent in der Bonhoefferkirche Neumünster

„Was hat Hiob mit Advent zu tun?“, wurde ich immer wieder gefragt. Ich könnte antworten: „Gott will im Dunkeln wohnen und hat es doch erhellt.“

Die Geschichte Hiobs erzählt vom Dunkel und der Finsternis, die uns allen ja nicht fremd ist und der Advent erzählt vom Warten darauf, dass es einmal erhellt sein wird.

Wie sieht diese Dunkelheit aus? Ich will am Anfang 3 Szenen erzählen.

„Nur dieser eine Tag im Jahr! Warum können wir nicht wenigstens am Heiligabend Frieden in der Familie haben?“ Stattdessen durchbricht nur das Klappern des Bestecks das kalte Schweigen am Essenstisch.

Eine andere Szene:
Es war der schönste Tag im Leben. Das Kleid war ein Traum in Weiß. Immer wieder kullerten Freudentränen. Die beiden hatten sich endlich gefunden und geheiratet. Die Liebe des Lebens. Und nur wenige Jahre später fliegen Worte verletzender durch die Luft als Teller es je könnten.

Eine andere Szene:
Der kleine Felix war ihr sehnlichst erwartetes Wunschkind. Wie lange hatten sie davon geträumt, ein eigenes Kind, einen Sohn in den Armen zu halten! Und nun ist jeder Tag eine Qual mit ihm, wie oft brachte er sie schon an den Rand ihrer Geduld. Und wie oft haben sie ihn schon verwünscht. Der Arzt sagte ihnen, dass Felix ADHS hätte.

Wie kann es sein, dass ausgerechnet das, wonach wir uns so sehr sehnen und dass ausgerechnet das, was so gut für unser Leben ist, uns soviel Leid bringt? Wo kommt das her?

Unsere Welt ist so schön und wunderbar gemacht wie ein Karibikstrand und ist gleichzeitig von einer Ölpest heimgesucht. Wie kann das sein, dass unsere Welt die so gut und so paradiesisch gedacht ist, so voller Finsternis, Leid und Gewalt ist. Wo kommt das her?

Seit Menschengedenken bewegt Menschen diese Frage. Wie kann das Böse in das Paradies, in eine so perfekte Welt einbrechen? Das ist die Frage, die die Schöpfungsgeschichte ganz am Anfang der Bibel stellt. Das ist auch die Frage, die das Buch Hiob ganz am Anfang stellt: „Wo kommt das Böse her?“ „Wo kommt all die Gewalt und das Leid her?“

Das Buch Hiob erzählt von einem Menschen, Hiob, der ein richtig Guter war – ohne Fehler. Ohne Sünde – und auf einmal bricht das Unglück über ihn hinein. Er verliert all sein Besitz, seine Kinder sterben und er wird schwer krank. Wo kommt das her? Wie kann das sein, dass so ein guter Mensch so viel Unglück erlebt?

Für Hiobs Freunde ist die Antwort klar und sie werden nicht müde auf ihn einzureden: Du musst schuld sein. Du musst gesündigt haben. Diese Szene haben wir gerade eben im Anspiel gesehen.

Im Hiobprojekt hat Jason das mit Steinen symbolisiert. Indem er die Steine mit Wucht auf die Karte Hiobs legt. Wo kommt das her? Die Antwort auf diese Frage ist zu Anklagen, zu Vorwürfen, zu Steinen geworden, die wir auf andere Menschen werfen. Jemand muss schuld sein. Du musst schuld sein. Adam tat das schon. Eva tat das schon. Die Freunde Hiobs taten das. Wir tun es.

Am friedlosen Weihnachtsfest, an der zerbrochenen Ehe, am aufreibenden Sohn. Jemand muss schuld daran sein. Wir suchen jemanden, wir brauchen jemanden, den wir dafür anklagen können. Auf den wir all diese Steine der Schuld, der Anklage und Vorwurf werfen können. Und wehe, wenn wir ihn gefunden haben! Manchmal verinnerlichen wir diese Stimmen und geben uns selbst die Schuld. Und gehen umso unerbittlicher mit uns ins Gericht.

„Hiob, Du bist schuld – sehe das endlich ein!“ reden die Freunde auf Hiob ein. Seine Frau hat eine andere Antwort. Sie gibt Gott die Schuld: „Wende Dich doch ab von Gott. Er hat Dich verlassen!“ Auch diese Stimme ist uns sehr vertraut. Voller Verbitterung, Enttäuschung und Schmerz klagen viele an: Was ist das für ein Gott, der so viel Unrecht in der Welt zulässt?

Man wendet sich voller Trotz ab, vom Weihnachtsfest, von der Ehe, vom Kinderwunsch, vom Glauben, weil man überzeugt ist: Das kann ja nur schief gehen und man findet viele Gründe dafür.

Selina hatte im Hiob-Projekt noch einen anderen Gedanken: Gerade wenn so viel Not und Leid wie Steine auf unserem Leben lasten, gerade dann fängt man an zu beten. Ausgerechnet diese Zeit ist dann eine Zeit, in der uns Gott besonders nahe ist. Der Psalm 23, übrigens auch ein Psalm, der von Hiob handelt, drückt das so aus: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir.“ Doch auch wenn wir Gott so nahe fühlen, haben wir trotzdem keine Antwort, woher das alles kommt, aber wollen sie dann oft auch nicht mehr.

Dana drückte eine Antwort im Hiob-Projekt bildlich so aus, dass sie die Steine zu Gott schob, so wie es der Bibelvers sagt: „Alle Sorgen werft auf ihn!“ Die Steine, die Lasten waren dann nicht weg, aber sie ließen sich auf einmal tragen – und mit der Zeit auch bewältigen.

Hiob widersteht der Versuchung, die Frage nach der Schuld zu klären. Er weigert sich, Gott die Schuld zu geben und sich von ihm abzuwenden. Und er weigert sich zugleich, davon auszugehen, dass er selbst Schuld auf sich geladen hätte.

Doch die Spannung ohne eine Antwort zu leben, zerreißt ihn schier.

Und genau an dieser Stelle verbindet sich die Geschichte Hiobs mit dem Advent. Er erinnert uns daran, dass wir in einer Zeit des Wartens und der Sehnsucht leben. Wir werden gleich singen: Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.

Wir warten auf diesen Tag der Weihnacht, auf diesen Tag der ewigen Weihnacht, von dem es in der Offenbarung heißt: Dann wird es kein Leid, kein Schmerz, kein Geschrei und keinen Tod mehr geben.

Diese Zeit wird es einmal geben – aber sie ist noch nicht da. Noch sehnen wir uns danach und noch müssen wir darauf warten, aber einst wird es so kommen – das ist unsere Gewissheit und unsere Hoffnung.

Aber der Advent lässt uns nicht nur auf ein fernes Ziel sehen. Der Advent ist auch eine Zeit der Besinnung. Er fragt uns jetzt und hier: Wohin mit diesen Steinen in unserer Hand? Mit den Sorgen, Ängsten, Schuldsprüchen, Vorwürfen und Anklagen? Machen wir sie zu Wurfgeschossen? Schleudern wir sie dem Nächsten ins Gesicht? Oder Gott entgegen? Oder bohren wir sie in uns selbst hinein? Was machen wir mit den Steinen?

Heute sind wir eingeladen, unsere Ängste beim Namen zu nennen und sie Gott anzuvertrauen. Heute ist der Tag, an dem wir sie loslassen können. In einem symbolischen Akt können sie das im Ausklang des Gottesdienstes machen und die Steine hier vorne auf den Altar legen.

Das bedeutet nicht, dass wir eine Antwort gefunden haben und dass damit alles gut ist. Aber es kann bedeuten, dass wir einen Anfang machen: Gott zu vertrauen, dass er sich dieser Dinge annehmen wird. Es soll vor allem bedeuten, dass wir die Steine aus der Hand legen können. Wir müssen nicht so weiter machen wie bisher. Wir müssen die Steine nicht länger jemanden entgegenschleudern. Es gibt einen anderen Weg.

In der Zeit des Hiob-Projektes ist das Kind in der Krippe für mich zu einem Symbol geworden. Wenn Gott kommt, dann wird er Frieden schaffen: „all unsre Not zum End er bringt.“ Aber wird er nicht als ein starker Herrscher auftreten, der mit der Faust auf den Tisch aufschlägt. Er wird kein starker Führer sein, nach dem sich manche in der Krise sehnen.

Er wird kommen wie ein Kind in der Krippe. „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt“. Schwach wird er erscheinen, verletzlich, abhängig, angewiesen. „Sein Zepter ist Barmherzigkeit.“

Christus, der Messias, wird Frieden bringen, indem er unser Helfer, ja sogar unser Knecht und Sklave sein wird. Als jemand, der uns nahe sein wird und der mit uns sein wird, wenn wir das denn zulassen. Diese Antwort ist schon in der Schöpfungsgeschichte verborgen: Gott wird uns einen Helfer schaffen, einen Beistand, der uns nahe sein wird und uns ähnlich, „derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat.“

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